Diese filigranen, mit Ornamenten versehenen Goldreste wurden 1984 im Zentrum des Oppidums von Manching gefunden. Sie stammen aus dem Zentrum der 380 Hektar großen Keltenstadt aus den letzten Jahrhunderten vor Christi Geburt, die mit einer sieben Kilometer langen Mauer befestigt war.
Die Goldbleche lagen zusammen mit einem goldumwundenen Stab und vergoldeten Bronzeblättern in einer eisenzeitlichen Grube. Aus ihnen rekonstruierten Archäologen und Restauratoren ein 70 cm hohes Bäumchen mit geschwungenem Stamm und einem Seitenast. Es wird als ein mit Efeu umrankter Eichenspross interpretiert. Mit den Goldresten fanden sich Bruchstücke eines Gestells aus Bronze und Eisen. Sie gehörten wohl zu einem goldbesetzten, in typisch keltischem Stil verzierten Holzkasten, in dem das Bäumchen lag. Die Ausstellungsvitrine gibt die frühere Lage des Stammes in dem Kästchen wieder.
Der Ort, an dem das Bäumchen deponiert wurde, spielte für die Planung der Keltenstadt offenbar eine zentrale Rolle: Die Strecke zwischen Südtor und dem Depot des Kultbäumchens wird durch die Lage des Manchinger Zentraltempels exakt halbiert. Das Osttor wiederum bildet mit diesem Tempel und dem Südtor ein Dreieck mit drei gleich langen Seiten.
Die geometrische Struktur und der Plan der Keltenstadt von Manching unterlagen also festen kultischen Normen. Die rituelle Vergrabung des Goldbäumchens dürfte für die kosmologische Konstruktion der Stadt mit Zirkel und Maßschnur von zentraler Bedeutung gewesen sein.
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Das Goldbäumchen lässt sich als ein außergewöhnliches Zeugnis keltischer Naturverehrung interpretieren. Der Stamm trägt Früchte der Eiche, aber Blätter des Efeus, und bleibt somit ein mythischer Hybrid. Solche Darstellungen einer geheimnisvollen Pflanzenwelt voller verschlungener Motive und miteinander verschmolzener Tiere oder Mischwesen sind ein zentrales Element der keltischen Kunst.
Antike Autoren aus Griechenland und Rom berichten, dass kultische Handlungen der Kelten oft in naturheiligen Plätzen, z.B. in Hainen oder an Quellen stattfanden. Eichen und Misteln spielten bei solchen Naturheiligtümern eine bedeutende Rolle.
Der römische Autor Lukan zeichnet im ersten Jahrhundert nach Christus ein düsteres Bild der keltischen Götterverehrung in solchen heiligen Hainen. Ob seine sehr klischeehafte Schilderung einen Interpretationsansatz für das Kultbäumchen liefert?
Da stand ein Hain, seit Menschengedenken nie entweiht;
mit verschränkten Ästen
bildete er einen Bezirk von Dunkelheit und Schattenkühle,
dessen Kuppel Sonnenstrahlen nicht durchdrangen …
Die Altäre waren mit grässlichen Schlachtbänken versehen
und alle Bäume mit Menschenblut geweiht …
Dazu floss überall aus dunklen Quellen Wasser,
und düster standen ohne Kunst und roh aus Holz gehauen, Götterbilder da.
Bereits der Moder und die Geisterfarbe des faulen Holzes erregten Entsetzen …
Diesen Ort besuchten keine Leute, um ihn aus der Nähe zu verehren,
vielmehr überließ man ihn den Göttern;
wenn Helios am Mittagshimmel stand
oder dunkle Nacht das Firmament umfing,
so wagte nicht einmal der Priester einzutreten,
fürchtete er doch, den Herrn des Hains zu überraschen.